Wenn wir uns auf den Weg in ein bewussteres Leben machen – ein Leben des Wachstums und der Heilung – gibt es auch einige Hindernisse, die nicht alle auf den ersten Blick erkennbar sind. Eines davon ist, spirituelle Konzepte zu benutzen, um spiritual bypassing zu betreiben. Das geschieht oft unbewusst und beruht zum Teil darauf, dass dieser Sog in uns, der uns im Alten halten will, sehr stark ist.
In diesem Artikel erfährst du, was spiritual bypassing ist, wie du es bei dir und anderen Menschen erkennst und wie du es letztendlich unterbinden und ein Leben in deiner authentischen Wahrheit führen kannst.
Was ist spiritual bypassing?
Der Begriff spiritual Bypassing wird gerade immer wichtiger und bekannter; er wurde jedoch schon 1984 von dem Psychologen John Welwood geprägt. Gemeint ist damit, dass spirituelle Konzepte dafür benutzt werden, unangenehme Gefühle zu vermeiden und sich Dingen nicht zu stellen (to bypass = umgehen).
Das gefährliche an spiritual bypassing ist, dass durch die spirituelle – quasi höhere – Deutungsperspektive den negativ empfundenen Gefühlen der Rang abgesprochen wird. Dann muss man sich bequemerweise auch nicht mehr wirklich damit auseinandersetzen, weil aus einer höheren Perspektive sind diese Gefühle ja nur eine Illusion (/insert your bullshit here).
Ein einfaches Beispiel für spiritual bypassing
„Alles, was passiert, haben wir uns als Seele selbst ausgesucht.“
Wenn wir aus dem normalen Opfer- bzw. Zufallsbewusstsein der Menschen aussteigen, kommen wir irgendwann notwendigerweise zu der Wahrheit, dass wir der Schöpfer / die Schöpferin unseres eigenen Lebens sind. Dass unser Leben neben unseren bewussten Alltagsentscheidungen von einem höheren Streben unserer Seele nach Freiheit, Wachstum und Ausdehnung geprägt ist. Und das bedeutet auch, anzuerkennen, dass alles, was wir uns zwar nicht bewusst ausgesucht haben, auf einer höheren Ebene eben doch von uns ausgesucht wurde, um zu wachsen.
Wie zum Beispiel die schmerzhafte Trennung, der finanzielle Engpass oder auch jede andere Lebenskrise.
Das ist erstmal eine Sichtweise, die uns in die Macht bringt. Von einem Schäfchen in eine souveräne Lage als Captain deines Lebens. Von: „Warum ist mir das passiert?“ Hin zu „Wozu ist mir das passiert?“
Wenn wir dann aber dieses Mindset in die Verkörperung bringen wollen, kann leicht an verschiedenen Stellen spiritual bypassing passieren.
Wenn beispielsweise ein geliebter Mensch stirbt, kann es sein, dass wir zu schnell sagen: „Es war Zeit für ihn. Seine Seele wollte gehen.“ Und diese Sichtweise benutzen, um unsere Trauer zu vermeiden.
Eine höhere Sichtweise auf die Dinge zu haben, bedeutet nicht, dass diese Dinge keine Gefühle mehr in uns auslösen.
Natürlich ist es traurig, wenn jemand stirbt. Natürlich tut es weh, wenn eine Beziehung vorbei ist. Natürlich macht es Angst, den Job zu verlieren und so weiter.
Auch wenn das total logisch und einleuchtend klingt, passiert doch genau diese Vermeidung und Untergrabung von Gefühlen in den meisten Coaching- und spirituellen Szenen. Es wird ein Weltbild aufgebaut und verkauft, in dem du irgendwann, wenn du diesen Weg gehst, quasi nur noch positive Gefühle hast und dich nichts mehr wirklich unangenehm berührt. Dass du dich irgendwann durch all deine „Trigger“ durchgefühlt hast und keinen Schmerz mehr fühlst.
Das ist nicht so. Und alle Menschen, die das von sich behaupten, dürfen mal ganz kritisch unter die Lupe genommen werden.
Ja, es ist gut, sich zu fragen – Wozu ist das passiert? – und damit auf eine höhere Bedeutungsebene zu gehen UND vorher dürfen wir alles fühlen, was dieses Ereignis mit uns macht.
Denn in den allermeisten Fällen ist dieses höhere wozu nicht nur, dass wir die Segel anders setzen für die Zukunft, sondern ganz klar auch, Gefühle zu fühlen und anzunehmen, die ungeliebt und unterdrückt in unseren Körpern feststecken.
So sehe ich es bei einigen ach so erleuchteten spirituellen LeaderInnen, dass ihnen mehr oder weniger das Gleiche immer und immer wieder passiert. Weil sie sich als so erhaben und über den Dingen stehend wahrnehmen, dass sie immer nur die höhere Lehre in der Sache sehen, aber nie das kleine innere Kind, was danach schreit, endlich Akzeptanz für seine Gefühle zu bekommen.
Ja, die Dinge geschehen uns so lange, bis wir alles daraus gelernt haben, was die Seele daraus lernen wollte. Und da wir uns alle hier als Menschen auf der Erde inkarniert haben, ist das eben auch, zu lernen, ein Mensch zu sein. Ein kleiner süßer Mensch mit vielen verschiedenen manchmal verwirrenden und unangenehmen Gefühlen. So what? Deine Gefühle sind weder unspirituell noch zu überwinden oder zu vermeiden. In den allermeisten Fällen ist auch das unangenehme Gefühl nicht das eigentliche Problem, sondern vielmehr der Widerstand dagegen.
Wie du dich vor spiritual bypassing schützt
Das ist es, worum es bei einer modernen integrierten und integrierenden Spiritualität wirklich geht: Verkörperung. ENDLICH auch die Emotionen zu meistern und eben nicht mehr vermeiden, Mensch zu sein.
Also frage dich einfach immer bei deinem Umgang mit Situationen, ob du gerade ein spirituelles Konzept benutzt, um Gefühle zu vermeiden. Wie fühlt sich die Situation in deinem Körper an? Wenn irgendwo Enge, Unruhe oder Druck in deinem Körper ist, dann hast du ein unerwünschtes Gefühl übersehen. Nicht schlimm, einfach kurz hinsetzen, tief atmen, gut erden und durchfließen lassen oder dir entsprechende Unterstützung von FreundInnen oder in einem professionellen Rahmen suchen. Gefühle sind nicht unsere Feinde und sie wollen uns nichts Böses. So viele Menschen sind dauernd oder sogar chronisch krank. All diese Gefühle sind gefangen in unserem Körper und schreien nach Erlösung. All der konsumierte Zucker, Netflix, Zeit die mit anderen anstatt mit dir selbst verbracht wird usw – jeder Mensch hat andere Vermeidungsmechanismen. Diese Kultur baut grundlegend darauf auf, dass du etwas vermeiden willst. Also ertappe dich selbst und finde Wege, es anders zu machen.
Auch hier gilt natürlich wieder: mach´s mit Selbstliebe! Prügel dich nicht durchs Fühlen durch. Vielleicht merkst du: okay da ist noch ein Gefühl, aber du fühlst dich gerade noch nicht bereit, es zu fühlen. Es überwältigt dich, macht dir Angst, löst Widerstand aus. Ja, dann gönn dir doch erst den Netflix-Abend oder die Schokolade oder den witzigen Abend mit FreundInnen. Aber dann – when you’re ready: let´s go! Manchmal brauchen wir erst die bewusste Entspannung (oder auch bewusste Vermeidung), um die Kapazität zu haben, den Raum für unsere Gefühle zu halten.
Weil ja lass uns ehrlich sein: westliche Gesellschaften sind emotional sehr dumm. Die Erziehung von den meisten Menschen hat keine emotionale Intelligenz vermittelt. Das Bildungssystem arbeitet dem sogar grundsätzlich entgegen. Zu mir hat zum Beispiel ein Prof bei meiner mündlichen Master Abschlussprüfung gesagt, dass es seiner Meinung nach im Studium wesentlich darum geht, sich gegen Kritik verteidigen zu können. Zum Glück war ich damals schon auf dem Pfad der Selbstliebe und habe gedacht: Wie gesund ist es denn für mich, wenn ich jederzeit bereit und in der Lage bin, mich gegen Kritik zu verteidigen? Wenn ich bei jedem Satz denke: Was könnte man jetzt daran kritisieren?
Die meisten von uns – vor allem Frauen – haben diese Stimme sowieso in ihrem Kopf. Die uns immer sagt, dass das, was wir sagen und tun, nicht gut genug ist und die uns erzählt, was andere wohl daran auszusetzen haben könnten.
Das aktiviert das Nervensystem und fördert einen permanenten Survival Modus, in dem wir uns verteidigen anstatt uns sicher zu fühlen und entspannen zu können. Es setzt unseren Selbstwert herab, wenn wir unsere Worte im Nachhinein zu sehr auseinander nehmen anstatt zu üben, zu denken: Ja, das habe ich gerade gut gesagt.
Dieses grundlegende Prinzip unseres Billdungssystems kann übrigens als weiteres Beispiel für bypassing genommen werden. Weil: Warum wollen wir denn Kritik vermeiden? Weil es sich S C H L E C H T anfühlt, wenn uns jemand kritisiert. Wir wollen somit wieder ein unangenehmes Gefühl vermeiden und rationalisieren das dann noch damit, gut, schlau, erfolgreich oder was auch immer sein zu wollen.
Das heißt, der Schlüssel, um dich vor spiritual bypassing bei dir selbst und auch bei anderen zu schützen, ist Bewusstsein. Du wirst dir bewusst, dass das, was gerade passiert ist, etwas in dir auslöst. Du bringst dich selbst in einen Zustand, in dem dir das Fühlen, der in dir ausgelösten Gefühle leicht fällt. Du entdeckst den höheren Sinn der Ereignisse und kannst es loslassen. Check ✅ Now that´s how you do it.
Spiritual bypassing und spiritual gaslighting
Wie schon gesagt, ist auch beim Umgang mit spiritual bypassing bei anderen Leuten, Bewusstsein der Schlüssel. Allerdings kann es hier noch etwas trickier sein, dass spiritual bypassing zu erkennen, beziehungsweise dich dann auch davon abzugrenzen und dich nicht auch noch von der anderen Person gaslighten zu lassen.
Was meine ich damit?
Gerade bei spirituellen LeaderInnen und allgemein sehr erfolgreichen Menschen, findest du oft extrem viel (spiritual) bypassing und auch gaslighting. Diese Person stellt sich selbst als überlegen dar, als: „Ich habe das alles schon überwunden und bin so erleuchtet.“ dabei ist sie in vielen Fällen einfach nur sehr gut darin, ihre eigenen unangenehmen Gefühle zu bypassen und dich dann zu gaslighten.
Gaslighten bedeutet, einer anderen Person manipulativ ihre eigenen Gefühle und ihre Wahrnehmung abzusprechen.
Und meistens sind diese Personen selbst ihre schlimmsten Opfer, weil sie gar nicht merken, dass sie gerade etwas unterdrücken, da sie sich so sehr mit der höheren Perspektive identifizieren. Du spürst dann, wie sehr das, was die Person sagt, ihre Wahrheit ist und glaubst ihr. Obwohl du diese kleine Stimme in deinem Bauch hast, die dir sagt, dass das gerade gar nicht stimmt.
Deshalb: Vertraue immer dir selbst mehr als den anderen. Vertraue immer deiner Wahrnehmung von einer Person mehr als ihrer Wahrnehmung von sich selbst. (Natürlich hat auch deine Wahrnehmung Fehler und Verzerrungen, aber darum geht es jetzt nicht.)
Wenn du ein komisches Gefühl bei etwas oder jemandem hast, dann nimm dieses Gefühl ernst. Erforsche dieses Gefühl. Lass dir nicht von jemand anderem erklären, dass es eigentlich ganz anders ist.
Generell gilt auch: je sicherer du in dir selbst bist und je mehr du dir selbst und deiner Wahrnehmung vertraust, desto weniger anfällig bist du dafür, spiritual bypassing bei anderen zu übersehen.
Abschließendes Fazit
Make friends with your demons, my dear. Spiritualität kann schnell zur nächsten glitzernden Diskokugel werden, wenn wir nicht grundsätzlich lernen, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen. Eine höhere Perspektive ist nur dann eine höhere Perspektive, wenn sie auch das kleinste und dunkelste in uns integriert. Alles entsteht auf einer Schwingungsebene und wird erst dann zu etwas grobstofflichem, aber deshalb tut es trotzdem weh, wenn du mit deinem Knie gegen einen Tisch läufst.
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