Wenn wir anfangen, einen bewussten Weg zu gehen, dann kommen wir auch um eine Reflexion der Beziehung zu unseren Eltern nicht drum herum.
Wir suchen nach Erklärungen dafür, warum wir so sind, wie wir sind. Warum wir die Probleme haben, die wir haben.
Und natürlich haben die Antworten auf diese Fragen viel mit unseren Eltern zu tun.
Vielleicht fängt es mit Fragen an wie:
Warum mache ich mich immer von der Liebe von anderen Menschen abhängig?
Warum habe ich am Ende immer das Gefühl, doch nicht genug zu sein?
Der Kindheitsschmerz
Und bei der Erforschung dieser Fragen finden wir heraus, dass uns einiges gefehlt hat als Kind. Wir gestehen uns ein, dass wir uns nicht genug geliebt gefühlt haben. Dass unsere Eltern uns nicht bedingungslos geliebt haben. Weil sie sich selbst nicht bedingungslos geliebt haben.
Wie genau diese Story in deinem Fall aussieht, weiß ich nicht. Was ich aber weiß ist, dass wir alle Bedauern in uns tragen. Niemand, den ich kenne, hatte Eltern, die alles richtig gemacht haben. Niemand, den ich kenne, hatte Eltern, die ihn oder sie nicht bewusst oder unbewusst unglaublich tief verletzt haben.
Und dieser Schmerz, den wir als Kind erlebt haben – irgendwie ist er immer noch da. Tief verbuddelt in den meisten. Ab und zu wird er aus Versehen durch irgendetwas getriggert und dann schnell wieder nach unten gedrückt.
Wenn wir diesen bewussten Weg der Selbstheilung gehen, dann liegt der Schmerz auf einmal ganz offen da. Wir verstecken ihn nicht mehr vor uns selbst. Er ist da und es tut weh.
Was nun? An diesem Punkt werden die meisten Menschen erst einmal unglaublich wütend auf ihre Eltern.
Die Wut auf die Eltern
Die sind ja schließlich für deine ganzen Probleme verantwortlich oder? Weil deine Mutter dir gegenüber früher immer so kalt war, fühlst du dich auch heute noch von anderen Frauen abgelehnt. Weil dein Vater so dominant war, hast du auch heute noch Angst davor, Männern deine Meinung zu sagen.
Und ja: das ist ein Teil der Wahrheit. Diese Wut ist auch erst mal völlig gesund. Es ist gut, sie zu fühlen anstatt sie zu unterdrücken.
Aber dann ist es auch gut, sie loszulassen und weiterzumachen. Es tut gut, mir selbst zu erlauben, in Frieden zu leben.
Denn, wenn ich in Wut lebe, dann schade ich damit nicht der anderen Person, sondern immer nur mir selbst. Ich richte meine Energie gegen mich selbst und ich mache mich selbst zum Opfer. Ich gebe der anderen Person damit Macht über mich. Und mich selbst mache ich dabei zum ohnmächtigen Kind.
Klar ist es scheiße, dass wir alle destruktive Glaubenssätze haben, weil unsere Eltern versagt haben. Aber es ist auch die Realität. Und gegen die Realität anzukämpfen bringt gar nichts. Meine Eltern sind vielleicht für die Entstehung dieser destruktiven Muster verantwortlich, aber ich bin zu 100% für ihre Veränderung zuständig. Niemand anders. NIEMAND ANDERS.
Und wenn du jetzt gerade beim Lesen dieser Zeilen spürst, dass du deinen Eltern gerne verzeihen würdest, aber nicht so richtig weißt, wie, dann habe ich hier ein paar Tipps für dich:
6 Schritte hin zum Verzeihen
1. Schritt: Ein Ventil für deine Wut finden
Erst mal musst du die Wut rauslassen, damit in dir Raum frei wird. Mit der Wut im Bauch kannst du nicht verzeihen. Du musst sie erst einmal ausdrücken.
Und diese Wege des Ausdrückens können ganz unterschiedlich aussehen. Auf deine Matratze einzuschlagen kann ein Weg sein. In den Wald zu gehen und dort einmal ganz laut alle Wut aus dir herauszuschreien kann ein Weg sein.
Für mich ist Kickboxen der Weg, um meiner Wut Raum zu geben. Man kann zum Beispiel auch Räume mieten, in denen man dann ganz viel Geschirr und andere Sachen zerstören darf – das ist sicher auch eine wundervolle Methode, um Wut auszudrücken.
Finde deinen individuellen Weg, deine Wut auszudrücken OHNE sie dabei gegen andere Menschen zu richten.
2. Schritt: Brief an die Eltern schreiben
Und das heißt nicht, dass du nicht auch sagen darfst oder solltest: “Ich bin wütend auf dich! Ich finde das, was du gemacht hast, scheiße!”
Vielleicht tut es dir gut, mal so ein reinigendes Gespräch mit einem Elternteil zu haben. Vielleicht aber auch nicht.
Was in jedem Fall unglaublich reinigend ist, ist einen Brief zu schreiben. Schreibe diesen Brief in dem Bewusstsein, dass du ihn nicht abschicken wirst. Das heißt, du kannst wirklich alles sagen, was du sagen willst. Du musst nicht auf die Gefühle von irgendwem Rücksicht nehmen. Und du musst dich auch nicht zurücknehmen, weil du dich für deine Gefühle schämst.
Setze dich einfach mal hin und fühle in dich rein. Was wolltest du deinem Vater oder deiner Mutter schon immer mal sagen? Was wirfst du ihm oder ihr vor? Worin genau besteht dein Groll?
Lass mal all die stummen unbewussten Vorwürfe laut und bewusst werden. Nimm dir mal den Raum, den du dir sonst nicht zugestehst.
3. Schritt: Mitgefühl
Und nachdem das jetzt alles draußen ist, versuche dich mal in einem Perspektivenwechsel. Was hatten deine Eltern für Gründe dafür, das zu tun? Wie war denn eigentlich ihre Kindheit?
Weißt du nicht? Dann frag sie doch mal.
Wahrscheinlich wirst du feststellen, dass sie es nicht leicht hatten. Wenn deine Mutter zum Beispiel sehr kühl ist, wirst du vermutlich erfahren, dass ihre eigene Mutter noch viiiiiiiel kälter war. Sie hat ihr Bestes gegeben, um dir eine bessere Mutter zu sein als sie selbst eine hatte.
Vielleicht hat sie aus deiner Sicht dabei versagt. Aber sie hat es versucht. Und ich bin mir sicher: Auf ihre Art liebt sie dich.
Schau mal, welche Sichtweisen dir helfen, um Verständnis und Mitgefühl für deine Eltern zu empfinden. Schau mal, welche Perspektiven dir mehr Frieden bringen können.
4. Schritt: Radikale Akzeptanz der Vergangenheit
Egal, was schief gelaufen ist: Es ist jetzt vorbei. Egal, wie blöd die Vergangenheit war: Sie ist jetzt vorbei.
Und egal, wie sehr du dich gegen das wehrst, was passiert ist: Es ist trotzdem passiert.
Die Vergangenheit ist genauso wie sie war. Es gibt keinen Weg, die Vergangenheit zu verändern. Egal, wie sehr du dich dagegen sträubst, deine Kindheit war genauso wie sie war. Deine Eltern waren genauso wie sie waren. Das Ding ist gelaufen. Diese Tür ist für immer zu.
Also wie logisch ist es da, zu sagen, es sollte aber anders sein?
War es nicht. Und wenn es so war, wie es war, und es keinen Weg gibt, das zu verändern, weil es schon vorbei ist…..was ist dann die einzige Lösung?
Genau: Akzeptanz. Radikale Akzeptanz. Und ich erinnere auch hier nochmal daran: Akzeptieren heißt nicht gut finden. Es heißt nur, die Realität anzuerkennen statt dagegen anzukämpfen. Wenn du gegen die Realität ankämpfst kannst du nur verlieren. Die Realität wird jedes einzelne Mal gegen dich gewinnen. Egal, wie stark du bist. Und egal, wie klug du bist. Du warst, bist und bleibst in diesem Kampf der Verlierer oder die Verliererin.
5. Schritt: Reframing
Reframing bedeutet, dass du ein Ereignis anders einrahmst als du das bisher getan hast.
Wenn uns etwas schlimmes passiert ist, fokussieren wir uns meistens auch darauf, was das für schlimme Folgen für uns hat.
Ich kann das Ganze aber auch umdrehen und fragen: Was hat es mir gebracht? Was kann ich positives daraus ziehen?
Ich gebe dir dafür mal ein sehr radikales und sehr persönliches Beispiel. Mein Vater neigte in meiner Kindheit zu Gewalt und Wutausbrüchen. Natürlich hat das einen großen Schaden bei mir angerichtet, der mich auch heute noch beeinflusst. Wenn ich das Ganze aber reframe und mich frage: Wozu hat es mir gedient? Dann finde ich selbst hier eine Antwort. Ich bin auch deswegen heute ein so feinfühliger Mensch, der Energien von anderen Menschen unglaublich differenziert und empathisch wahrnehmen kann, weil ich es früher aus Alarmbereitschaft heraus musste. Ich habe als Kind gelernt, andere Menschen aufmerksam zu lesen, um Gewalt zu vermeiden. Und dieses Einfühlungsvermögen hilft mir heute sehr in meiner Arbeit als Coach.
Ich bin mir sicher, dass du für deinen eigenen Groll auf deine Eltern ein ähnliches Reframing für dich finden kannst.
6. Schritt: Deine Selbstheilungstools finden
Am Ende geht es um dich und um deine Selbstheilung. Es geht nicht um deine Eltern.
Wie kannst du dich selbst heilen? Was kannst du heute dafür tun, dass es dir gut geht?
Es macht keinen Sinn, sich an der Vergangenheit festzubeißen und immer wieder daran zu denken, was damals alles schief gelaufen ist.
Was dich am besten repariert, ist deine Selbstliebe.
Dich im hier und jetzt um dich und um dein inneres Kind zu kümmern, das heilt die Vergangenheit am besten.
Zeit heilt keine Wunden, aber dich heute zu lieben und dir heute dein bestes Leben zu schenken, das heilt alles.
Wenn du in einen Zustand der Liebe und Fülle kommst, dann spielt es immer weniger eine Rolle, was für traumatische Kindheitserfahrungen du gemacht hast. Und vor allem wird dann das Bedauern und die Wut immer weniger.
Mache hier und jetzt die Erfahrung, dass dein Leben schön ist. Und dass dein Leben dir gehört. Nur dir.
Du kannst dir das Leben schenken, das du dir wünscht. Aber du musst dafür zu 100% die Verantwortung für dich und dein Leben übernehmen.
Gib deinen Eltern nicht länger die Schuld für alles, was nicht gut läuft bei dir. Denn wem du die Schuld gibst, dem gibst du die Macht.